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Delegationsbesuch aus dem Kreis Gütersloh in Valmiera
Höhepunkt: Wenn Engel singen
Nachmittags ging es ganz gemächlich los: Dr. Edgars Grandans führt die Gäste zum Krankenhaus in Mazsalaca. Trotz brütender Hitze: Es ist ihm nicht zu viel, über die Jahre immer wieder Danke zu sagen für das große finanzielle Engagement des inzwischen verstorbenen Textilunternehmers Bruno Kleine. Kleine finanzierte das 40-Betten-Haus.
Kontrastprogramm. Ein Stündchen im Naturpark Skanaiskalns. Unter uralten Eichen, die für kühlen Schatten sorgen, lauscht die Delegation beim Buntsandstein-Felsen dem Echo-Effekt. Diesen provoziert Busfahrer Edgars Zakis. Er ist nämlich nicht nur bewährter Fremdenführer und aufmerksamer Reisebegleiter, sondern auch die Bass-Stimme in einem Männerchor. Für die Gäste singt er ein lettisches Lied gegen den Felsen, das in schöner Reflektion zurückkommt. Ein ganz besonderes Naturerlebnis.
Noch nicht genug gezeigt: Mazsalacas Museum hält weitere Schätze bereit: Schnitzereien, Gemälde, Sammlungen von Tierpräparaten, Trophäen, Tischglocken, Alltagsgegenstände und Ahnentafeln. Ein letztes Gruppenfoto vor dem Museum und dann führt der Weg ins Kulturzentrum.
An diesem Abend treten Profis auf: Die Gruppe Ära unter der Leitung von Dita Tarvida. Das Vocalensemble überzeugt mit sphärisch-mystischen Stücken, benutzt Trommeln und erzeugt einen feinen Klang mittels Reibung auf dem Rand von Wassergläsern. Dazu eine professionelle Choreografie. „Sie haben gesungen wie Engel“, wird die stellvertretende Bürgermeisterin Pamela Westermeyer später sagen. Das letzte Stück, anmutig, emotional, treibt den Zuhörenden Gänsehaut auf die Arme und die ersten Tränen in die Augen. Stehende Ovationen – lang anhaltend. Als Zugabe „Amazing Grace“. Jetzt bleibt kein Augenwinkel trocken. Emotion pur.
In dieser Stimmung tritt Pamela Westmeyer ans Mikrofon um als Vertreterin Harsewinkels das Wort an die Freunde zu richten. Sie schockt, indem sie eine sehr persönliche Familiengeschichte über ihre Oma erzählt. Anfangs noch mit der eigenen Emotion ringend gibt sie sich die Blöße, das Würdelose beim Namen zu nennen. Im März 1945 habe die Oma bei Nacht und Nebel aus Belgrad in Westpommern fliehen müssen. Die Rote Armee rückte vor und überrollte die Bevölkerung förmlich. Alles was die fliehende Frau dabei hatte, war ein Koffer und den fünf Monate alten Sohn Herrmann. Vor lauter Stress, Angst und Kälte sei ihr die Milch weggeblieben. Hermann starb zehn Tage nach Fluchtbeginn. Sie musste ihn am Straßenrand beerdigen.
Ruhig, ihre Sätze mit Rücksicht auf die Übersetzerin in kleine Sequenzen unterteilend, erzählt Westmeyer weiter: „Am selben Tag wurde die Oma von fünf Russen vergewaltigt.“ Es sei schon erstaunlich, was ein Mensch aushalten könne.
Das Publikum, allesamt sichtlich bewegt, ist jetzt auf dem Tiefpunkt. Das spürt die Rednerin und stellt die Frage: „Warum erzähle ich Ihnen diese Geschichte? Heute Abend nicht, weil ich die Stimmung auf den Nullpunkt bringen möchte.“ Sie erklärt weiter, dass sie diese Geschichte erstmals in Harsewinkel zum Gedenktag 8. Mai erzählt habe. Dort wurde eine Stele neu eingeweiht, die mit französischen Freunden errichtet worden war. Immer wieder sei diese Stele Opfer von Vandalismus geworden. Harsewinkel habe entschieden: „Wir bauen diese Stele immer wieder auf.“ Denn es sei wichtig, zu erinnern. Die Deutschen seien gut im Verdrängen der eigenen Vergangenheit und vor allem all der Schuld.
Jetzt nimmt Westermeyer die Kurve zur Aktualität und wendet sich an die Gastgeber: „Auch ihr lettischen Freunde habt unter und Deutschen gelitten. Und es ist nicht selbstverständlich, dass ihr uns so freundlich eure Hände gereicht habt. Es ist auch nicht selbstverständlich, wie ihr gezeigt habt, mit eurem baltischen Weg, wie man Konflikte friedvoll lösen kann, wenn es um politische Interessen, Territorialansprüche oder um Gas geht.“ Es lohne sich, jeden Tag für Frieden, Freiheit und Völkerverständigung einzustehen.
An den jungen Ratsvertreter und ehemaligen Bürgermeister von Mazalaca Harijs Rokpelnis gewandt wünscht die Rednerin: „Auch meine Töchter sind fröhliche junge Mädchen und ich möchte auch, dass Harris‘ Jungs – die Kleinen – in Frieden und Freiheit leben können. Mit dieser Wendung zu dem jungen Mann im Publikum hat die stellvertretende Bürgermeisterin endgültig die Herzen erobert. Unter erleichtertem Lachen des Publikums bedankt sie sich abschließend bei den Letten: „Für all eure Herzenswärme, für all die Blumen, für all das gute Essen, das Bier, den Hochprozentigen, für all die Lieder und für die Liebe wie ihr allein einen Tisch deckt für uns.“ Sie dankt dafür, „wie ihr zeigt, dass man ein stolzes Volk sein kann und dass ihr uns Kulturbanausen die Kultur nahe bringt.“ Ein sprachkundiger wusste nachher zu berichten: „Das Wort Kulturbanausen hat die Übersetzerin elegant ausgelassen.“