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Historisches
Wie sah eigentlich der Rettungsdienst vor 100 Jahren aus?
Die Ursprünge
Der Transport von Kranken und Verletzten war bis zu der Zeit zwischen den Weltkriegen ausschließlich den Patienten bzw. seinen Angehörigen überlassen. Organisierter Krankentransport oder gar Rettungsdienst waren unbekannt.
Im Rahmen der Nachbarschafts- oder Familienhilfe wurden Fuhrwerke und später Kraftfahrzeuge genutzt, um Kranke und Verletzte der medizinischen Versorgung zuzuführen.
Außer der ärztlichen Hilfe gab es auch Erste-Hilfe-Stationen, die im 20. Jahrhundert in Industrieunternehmen und zentralen öffentlichen Gebäuden unterhalten wurden. Später kamen auch solche der Hilfsorganisationen dazu.
Der Preußische Minister für Volkswohlfahrt regte 1926 eine Regelung des Rettungs- und Beförderungswesens an. Zu diesem Zweck wurde dem "Rettungswesen in der Provinz" ein Kredit in Höhe von 500 Reichsmark zur Verfügung gestellt, da es durch die zunehmende Motorisierung auch fernab der Städte zu Unfällen kam.
Auf geeigneten privaten und gewerblich genutzten Fahrzeugen sollten Vorrichtungen zur Befestigung von Tragbahren oder Behelfstragen gefördert werden. Außerdem sollten Gemeindepflegestellen mit Tragbahren und Verbandkästen ausgestattet werden.
In Bielefeld gab es bereits einen Krankenwagen, der in besonderen Fällen auch für den Kreis Halle angefordert werden konnte.
Erste "Krankenautos" wurden im März 1940 (Opel-Blitz, Miesen-Ausbau) jeweils für den Kreis Halle und das Amt Versmold in Dienst gestellt. Besetzt wurden diese durch DRK-Bereitschaftsdienste. Sie waren geeignet für den Transport von 4 liegenden bzw. 2 liegenden und zwei sitzenden Patienten.
Im weiteren Kriegsverlauf wurden zivile Krankenwagen eingezogen. Bei zivilem Bedarf mussten heereseigene Krankenwagen bestellt werden, "wenn dienstliche Anforderungen es zulassen".
Nach dem Krieg wurden die ehemaligen Heeres-Krankenkraftwagen von der alliierten Übergangsregierung an bedürftige Städte oder Kreise verteilt.
Ausstattung von Krankenwagen April 1946
Tragbahren (je nach dem Fassungsvermögen des Wagens)
Decken
Kissen 3 je Tragbahre
Urinbehälter 1 je Tragbahre
Stuhlbecken je 1 für Männer und Frauen
Wasserbehälter mit Trinkgefäß 1 (mit Toilettenpapier)
Wärmeflaschen 2
Thomas Knieschiene 1
Gerätekasten für Erste Hilfe enthaltend:
Pinzetten
Scheren
Fieberthermometer 1
Baldriantropfen 100 gr
Jodtinktur 100 gr
Drahtschienen 4
Hansaplast 3 m
Leukoplast 2 Rollen
Dreiecktücher 3
Watte 100 gr
Mull
Binden
Verbandpäckchen
Pressbinden
Durch Anordnung der britischen Militärregierung wird am 1.8.1946 der Krankentransport, der bisher in Händen des DRK lag in die Verantwortung der Kreise gelegt und durch Personal der freiwilligen Feuerwehr übernommen.
Kreis Halle 1948
4 Krankenautos
8 Kästen für Erste Hilfe bei Bahn und Polizei
38 Unfallmeldestellen, besetzt mit Helfern bzw. Helferinnen
4000-5000 Krankentransportfahrten
Den Fuhrpark des Kreises Halle bildeten die beiden Opel Blitz Fahrzeuge, nach amtlicher Bezeichnung als A-Krankenwagen bezeichnet und intern wegen der grünen Farbe "grüne Minna" genannt, ein Opel Kadett und später ein VW Käfer. Bei Einsätzen wurde die Trage über den Beifahrersitz geschoben. Sonst befand sie sich auf dem Dach des Autos.
Es entstanden in den damaligen Kreisen Halle und Wiedenbrück mehrere Krankentransportstationen. Dort befanden sich in Anbindung an die Freiwillige Feuerwehr so genannte Sitz- und Liegewagen und üblicherweise wohnte dort das Personal, das die Kranken und Transportbedürftigen beförderte. Den Telefondienst versahen in aller Regel die Ehefrauen (ehrenamtlich), wenn ihre Männer im Einsatz waren.
In Halle war die erste Krankentransportstation in der Kohlehandlung Prange untergebracht. Zur Anfangsbesatzung zählten 4 Personen.
In Versmold war für den Krankentransport 1 Mitarbeiter zuständig, der jeden Tag des Jahres 24 Stunden im Dienst war. Nur zu dessen Urlaubszeiten wurden die Dienste von Haller Kollegen übernommen.
Im Vordergrund stand zu dieser Zeit der Transport. Medizinische Hilfe wurde nur in begrenztem Umfang geleistet. Das Transportpersonal wurde als Krankenwagenfahrer eingestellt und hatte lediglich eine verbesserte Erste-Hilfe-Ausbildung.
"Spiegelrettung"
Bis ca. 1973 wurde die so genannte Spiegelrettung gefahren. Die Besatzung eines Krankentransportfahrzeuges bestand üblicherweise nur aus einer Person. Hatte man eine schwer verletzte oder erkrankte Person im Fahrgastraum auf der Trage liegen, forderte man diese von Zeit zu Zeit auf, einen Arm zu heben. Das wurde im Rückspiegel überprüft. Reagierte der Patient darauf nicht mehr, konnte man annehmen, dass sich der Zustand verschlechterte und setzte die Fahrt mit Blaulicht und Martinshorn fort.
Unter Umständen fuhren auch Mitarbeiter des Bauhofes, der freiwilligen Feuerwehr oder Polizeibeamte mit, die unterwegs die Patienten betreuen konnten.
1971 wurden für den Rettungsdienst mehrere neue Krankenwagenfahrer eingestellt. Die Ausbildung bestand aus 160 Std. Klinikpraktikum mit theoretischer Schulung.
Die neuen Mitarbeiter ermöglichten es, gleichzeitig einen Liegewagen und einen s.g. Sitzwagen einzusetzten. Der Sitzwagen war ein Mercedes-PKW und führte Transporte von sitzenden Patienten durch und war somit Konkurrenz für die Taxen.
War für einen Liegewageneinsatz z.B. bei schweren Unfällen ein zweiter Mann erforderlich, fuhr häufig ein Mitglied der Freiwilligen Feuerwehr mit.
Durch die Gebietsreform am 1.1.1973 entstand der Kreis Gütersloh. Nun kamen die Standorte Harsewinkel und Schloß Holte-Stukenbrock zu den bis dahin bestehenden Rettungswachen hinzu.
"Einpackrettung"
Im Jahre 1973 wurde das erste Landes-Rettungsdienstgesetz verabschiedet. Ausbildungsstandard wurde der neu geschaffene "Rettungssanitäter" mit einer 240 Std.-Ausbildung. Vorhandenes Personal wurde entsprechend nachgeschult. Von da an bestand eine Fahrzeugbesatzung für Liegewagen aus 2 Personen.
Im Laufe des selben Jahres bekam der Standort Halle den ersten Rettungswagen, einen Ford Transit, der von der Kreissparkasse gespendet wurde.
Die Einsätze liefen aber immer noch nach dem "load-and-go-Prinzip" ab. Ging es dem Patienten schlechter, fuhr man schneller zum Krankenhaus. Wichtig war der Transport, Versorgung des Patienten hatte nur einen untergeordneten Stellenwert.
Am 3.7.1976 wurde der Rettungshubschrauber Christoph 13 in Dienst gestellt. Trägergemeinschaft waren die Gütersloh, Lippe, Minden-Lübbeke, Herford, Höxter, Osnabrück und die Stadt Bielefeld. Damit stand erstmals ein Notarzt zur Verfügung, der in Notfallsituationen Patienten medizinisch versorgen konnte.
Verbesserte Ausbildung
Anfang der 80er Jahre ist die Rettungssanitäterausbildung auf 520 Stunden verlängert worden. Das vorhandene Personal wurde wiederum nachgeschult. Wichtig wurde jetzt, lebensbedrohliche Störungen frühzeitig erkennen zu können und entsprechend zu reagieren. Auch die stetig zunehmende Zusammenarbeit mit Notärzten steigerte die Notwendigkeit notfallmedizinischer Kenntnisse und Fähigkeiten.
Parallel dazu verbesserte sich die Qualität und medizinische Ausstattung der Fahrzeuge erheblich.
Nach der Stadt Gütersloh wurde in Halle/Westf. am 1.9.1988 der erste Notarztstandort im Kreis Gütersloh installiert.
Seit dem 1.1.1995 ist am Krankenhaus Halle ein Notarzteinsatzfahrzeug (NEF) stationiert, das im s.g. Rendezvous-Verfahren den Arzt unabhängig vom Rettungswagen zur Einsatzstelle bringt.
1989 wurde das Rettungsassistentengesetz verabschiedet. Erstmals gab es ein echtes Berufsbild für das Personal im Rettungsdienst. Seit dem dauert die Ausbildung 2 Jahre. Voraussichtlich wird sie in den nächsten Jahren auf 3 Jahre erhöht.
Seit der Einführung des Rettungsassistentengesetztes liegt der Schwerpunkt eindeutig bei der präklinischen Versorgung des Patienten. Ein Notfallpatient wird vor Ort erst behandelt und transportfähig gemacht und erst dann zum Krankenhaus befördert.
Im Laufe der 90er Jahre erhöhte sich die Zahl der Kranken- und Rettungswagen und auch die medizinische Ausstattung entwickelte sich sprunghaft weiter. So sind auf allen Rettungswagen seit dem z.B. Notfallkoffer, mobile Beatmungsgeräte und EKG-/Defigeräte obligatorisch.
Mittlerweile verfügt jedes Fahrzeug darüber hinaus über eine Vielzahl von medizinisch technischen Geräten, die bei den verschiedensten Erkrankungen und Verletzungen zum Einsatz kommen. Das wiederum erfordert eine hohe Qualifikation des Rettungsdienstpersonals.
Bis Ende 1994 gab es im Kreis Gütersloh die Leitstellen der Stadt Gütersloh, für den Nordkreis die Kreisleitstelle Halle und die Leitstelle der Stadt Rheda-Wiedenbrück. Außerdem liefen Notrufe in der Wache Schloß Holte-Stukenbrock für den Südkreis auf.
Das änderte sich im Dezember 1994 mit der Einrichtung der Kreisleitstelle Gütersloh, die sich räumlich der Feuerwehr Gütersloh angliedert. Sie untersteht dem Kreis Gütersloh und wird personell von Leitstellendisponenten der Feuerwehr Gütersloh geführt.
Dadurch wurden Räume auf der Rettungswache Halle frei, die seit dieser Zeit als Ausbildungs- und Schulungsräume der neu gegründeten Lehrrettungswache genutzt werden. Dort findet der praktische Teil der Ausbildung zum Rettungssanitäter oder -assistenten statt. Um diese Ausbildung fachkundig betreuen zu können, sind mittlerweile 5 Rettungsdienstmitarbeiter zu Lehrrettungsassistenten weiterqualifiziert worden.
Zu der ohnehin schon deutlich verbesserten Ausbildung ist jeder Rettungsdienstmitarbeiter verpflichtet, jährlich mindestens an 30 Fortbildungsstunden teilzunehmen. So werden theoretische und praktische Kenntnisse und Fähigkeiten immer wieder aufgefrischt und auf den medizinisch aktuellen Stand gebracht.
Großschadensereignisse
Nach der Flugschau-Katastrophe in Rammstein und dem ICE-Unglück in Eschede hat der Kreis Gütersloh Strukturen errichtet, die den Rettungsdienst auf die Versorgung bei Katastrophen und Großschadensereignissen vorbereiten.
Im Dezember 1998 wurde für das gesamte Kreisgebiet der "Leitende Notarzt" unter der Führung von Prof. Dr. Paravicini (Chefarzt der Anästhesie, Städtisches Klinikum Gütersloh) eingeführt.
Mittlerweile besteht die Gruppe der Leitenden Notärzte aus 12 entsprechend qualifizierten Ärzten, von denen rund um die Uhr jeweils einer in Rufbereitschaft ist.
Dieser wird bei größeren Unfällen und Schadenslagen eingesetzt und koordiniert die medizinische Versorgung vor Ort.
Für den Kreis Gütersloh wurde die Fortbildung 1999 dafür genutzt, alle Rettungsdienstmitarbeiter zum Organisationsleiter Rettungsdienst (OrgL) zu qualifizieren. Das versetzt diese Mitarbeiter in die Lage, bei Großschadensereignissen zusammen mit dem Einsatzleiter der Feuerwehr und dem Leitenden Notarzt (LNA) organisatorische Aufgaben zu übernehmen. 2002 wurde eine rund-um-die-Uhr-Bereitschaft für diese Funktion eingeführt, die von einem Stab von erfahrenen Rettungsdienstmitarbeitern abgedeckt wird, denen für solche Einsätze ein Dienstfahrzeug zur Verfügung steht.
Im September 2002 fand in Rietberg eine Großübung mit einem s.g. Massenanfall von Verletzten (ManV) statt. An dieser Übung waren außer dem Kreis-Rettungsdienst mit allen o.g. Funktionen auch das THW, die Sondereinsatzgruppen (SEG) der Hilfsorganisationen und die Feuerwehr beteiligt. Im selben Rahmen wurde ein Jahr später in Steinhagen ein Bahnunglück auf der Trasse des Haller Willem simuliert. Hier galt es, etwa hundert Verletzte zu versorgen.
Ärztliche Leitung
Seit dem 1.4.2001 war Dr. Peter Kettelhoit (zu der Zeit Oberarzt der Anästhesie, Städtisches Klinikum Gütersloh) als Ärztlicher Leiter Rettungsdienst tätig. Unter seiner Aufsicht wurde 2002 eine bahnbrechende Neuerung umgesetzt: Kreisweit (inkl. Stadt Gütersloh und Stadt Rheda-Wiedenbrück) wurden alle Rettungsdienstmitarbeiter für die sogenannte Frühdefibrillation (Abgabe von Elektroschocks) qualifiziert.
Am 1.1.2006 wurde er von Bernd Strickmann (Oberarzt der Anästhesie, Klinikum Ravensberg) abgelöst. Er ist nunmehr für sämtliche medizinischen Fragen, Fahrzeugausstattung und Ausbildungsstandards des Personals zuständig. Erste große Aufgaben waren u.a. die Planung des Notfallkonzepts des Kreises Gütersloh für die Fifa-WM 2006, sowie die Umsetzung der weltweit einheitlichen neuen Reanimations -empfehlungen.