Jugendamt

Kindeswohl steht an oberster Stelle

Jugendämter haben Schweigepflicht. „Das ist auch gut so“, unterstreicht Overath. Ihre Kollegin Lisa Wendt aus der Regionalstelle Nord des Jugendamtes bekräftigt: „Die Gesellschaft kriegt somit natürlich oft nur die eine Seite zu hören. Schnell sind wir dann das ‚böse‘ Jugendamt, sagt Wendt. „Quatsch!“, räumt Wendt auf und erklärt Grundsätzliches: „Kinder haben ein Recht darauf, geborgen und gesund aufzuwachsen. Pflege und Erziehung der Kinder liegen in erster Linie in der Verantwortung der Eltern.“ Ihre Chefin setzt fort: „Die Abteilung Jugend hat ein so genanntes ‚Wächteramt‘. Niemand will Eltern ihre Kinder wegnehmen. Aber wir haben einen Auftrag. Das Kindeswohl steht an oberster Stelle.“

Kindeswohlgefährdung

„Eine Kindeswohlgefährdung im Sinne des § 1666 I BGB liegt vor, wenn eine gegenwärtige, in einem solchen Maß vorhandene Gefahr festgestellt wird, dass bei der weiteren Entwicklung der Dinge eine erhebliche Schädigung des geistigen oder leiblichen Wohls des Kindes mit hinreichender Wahrscheinlichkeit zu erwarten ist.“

 

Ilona Overath ist Diplom-Sozialarbeiterin und leitet die Abteilung Jugend des Kreises Gütersloh – unter anderem zuständig für 122 Kindertagesstätten.

Ist das Kindeswohl in Gefahr, oder könnte es in Gefahr sein, wird unverzüglich gehandelt. Das ist wie ein Notruf. Sofort tritt die Fallberatung in einer so genannten § 8a-Beratung (Schutzauftrag bei Kindeswohlgefährdung) zusammen. Die Einschätzung, ob tatsächlich Kindeswohl in Gefahr ist, trifft nie eine Einzelperson. „Es ist immer ein Team von Fachkräften, das sofort eine Konferenz einberuft und sich kollegial berät. Und – was viele nicht wissen: die allermeisten Inobhutnahmen geschehen einvernehmlich. Das heißt, die Eltern sind mit dieser Maßnahme einverstanden und arbeiten mit uns zusammen“, sagt Overath.

Die Kolleginnen nehmen sofort Kontakt zu den Sorgeberechtigten auf, falls diese in der Situation nicht dabei sind, um gemeinsam mit ihnen Lösungsmöglichkeiten zu entwickeln. Dabei wird auch mit Kindertagesstätten, Schulen, Ärzten und der Polizei zusammengearbeitet. „Ich habe selbst Kinder großgezogen. Für überforderte Eltern, die manchmal mit den Nerven am Ende sind, habe ich großes Verständnis“, zeigt sich Overath empathisch.

Nach dem Hausbesuch in der Familie, bei dem die Fachkräfte das Kind oder die Kinder gesehen haben, tritt die Konferenz in einer Folgeberatung zusammen. Jeder Schritt wird dokumentiert. Die Konferenz kommt zu einem Ergebnis: Entweder es ist alles in Ordnung, es gibt keine Gefährdung und keinen Unterstützungsbedarf. Oder es gibt keine Gefährdung, wohl aber Hilfebedarf. Dann kommen die vielfältigen Unterstützungsangebote in Frage: Unterstützung durch eine Beratungsstelle oder ambulante Hilfen in Form einer sozialpädagogischen Familienhilfe oder einer Erziehungsbeistandschaft.

Lisa Wendt, Leiterin der Regionalstelle Nord.alle Bilder: Kreis Gütersloh

„Es gibt ja auch die ‚latente Kindeswohlgefährdung‘, die wir erkennen“, sagt Wendt: „In diesem Fall geben wir ambulante Hilfen, damit die Familie wieder ins Gleichgewicht kommt. Da kommt dann zum Beispiel einmal die Woche eine sozialpädagogische Fachkraft in die Familie und unterstützt, damit die Ziele erreicht werden. Das kann eine Tagestruktur sein oder Erziehungsprobleme in den Griff zu bekommen oder den Umgang mit Ämtern und Behörden zu begleiten.“

Liegt jedoch eine akute Kindeswohlgefährdung vor, bekommen die Eltern ambulante Hilfe mit einem Schutzkonzept fürs Kind. Auch die Inobhutnahme des Kindes kann zu diesem Zeitpunkt der richtige Weg sein. Bis hierher kann eine Inobhutnahme einvernehmlich sein. „Oft erkennen die Eltern ihre Situation und sind mit einer zeitweiligen Inobhutnahme des Kindes einverstanden.“

Nehmen die Eltern keine Hilfe an oder ist trotz Hilfe das Wohl der Kinder auf Dauer gefährdet, wird das Familiengericht eingeschaltet. Dieses entscheidet dann über mögliche notwendige Maßnahmen. Wenn die Eltern diesen nicht zustimmen,  auch über einen Entzug von Teilen der elterlichen Sorge. „Kein Jugendamt darf das entscheiden“, so Overath.

Ilona Overath im Gespräch über die Aufgaben des Jugendamtes: „Das Kindeswohl steht an oberster Stelle“.   Fotos: Kreis Gütersloh

„Natürlich sind Inobhutnahmen belastend, wenn ein Kind nach seinen Eltern schreit, und zurückwill. Das ist immer traumatisch. Aber das Kind weiß nicht, dass es nicht normal ist, Schläge zu bekommen oder Eltern zu haben, die infolge Suchtmittelkonsums unfähig sind, Essen zuzubereiten. Das Kind will (fast) immer zu Mama und Papa“, so eine häufige Erfahrung, die Wendt und ihre Kolleginnen in der Situation machen. Und: „Wir prüfen hier sehr gründlich, was möglich ist, denn für uns gilt: Immer steht das Kind im Mittelpunkt.“ Für die Fachkräfte sind diese Situationen sehr belastend, kommen aber zum Glück auch nicht so oft vor.

Die ‚guten‘ Geschichten, wo Beratung und Hilfen greifen, Familien es durch die Unterstützung schaffen, wieder ihr Leben eigenständig zu gestalten, werden eher nicht öffentlich. Dabei ist das die Mehrzahl der Fälle. Und die machen dann die Arbeit im  Allgemeinen Sozialdienst (ASD) so lohnenswert und zufriedenstellend. „Wir freuen uns für jede Familie die es schafft, wieder ohne uns ihren weiteren Weg für eine gute Entwicklung der Kinder zu gehen“, fasst Wendt zusammen.

Dass sie froh ist, bisher noch immer tolle Kolleginnen und Kollegen gefunden zu haben, die diesen Job gerne machen, berichtet Overath am Ende. „In Zeiten des Fachkräftemangels, insbesondere auch im sozialen Bereich, haben wir bisher noch Glück gehabt. Wir haben tolle Teams und wirklich gute Arbeitsbedingungen beim Kreis Gütersloh als Arbeitgeber, so dass ich zumindest für die nächste Zeit noch optimistisch bin.“…

Sie sehen Kindeswohl in Gefahr? Die Nummer für diesen Fall lautet:

Regionalstelle Nord: 05201 81450

Regionalstelle West: 05247 923550

Regionalstelle Ost: 05244 92745-15

Nachts und an Wochenenden nimmt die Polizei unter der Notrufnummer 110 Meldungen an.

Zusätzlicher Hinweis: Jede Meldung der Polizei wegen häuslicher Gewalt in Familien, wo Kinder leben, wird kollegial mit Blick auf eine mögliche Kindeswohlgefährdung beraten. In den meisten Fällen findet danach ein Hausbesuch statt, um mit der Familie die Situation gemeinsam zu besprechen und Unterstützungsangebote zu machen.

 

Zahlen:

Anzahl der Inobhutnahmen pro Jahr (Kreis Gütersloh, Abteilung Jugend)

In Klammern: Anteil an unbegleiteten minderjährigen Ausländern

 

In 2020: 87, (keine Differenzierung nach Geschlecht)

In 2021: 105, (keine Differenzierung nach Geschlecht) [10]

In 2022: 132, davon 76 männlich, 56 weiblich [46]

In 2023: 162, davon 48 männlich, 113 weiblich [80]