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Corona-Ausbruch bei der Firma Tönnies
Allgemeinverfügung zur Absonderung in sogenannter häuslicher Quarantäne
I. Adressaten dieser Allgemeinverfügung sind
- Alle auf dem Betriebsgelände der Firma Tönnies am Standort In der Mark 2, 33378 Rheda-Wiedenbrück tätigen Personen.
- Alle Personen, die in (Gemeinschafts-)Unterkünften (wie bspw. Wohnheimen) oder sonstigen Wohnstätten (Wohnungen, Einfamilienhäuser) wohnen, in denen Personen im Sinne von I. Ziffer 1. wohnen.
II. Anordnungen
1. Gegenüber den unter I. genannten Personen wird eine Absonderung in häuslicher Quarantäne bis zum 02.07.2020, 24:00 Uhr angeordnet.
Es ist diesen Personen in dieser Zeit untersagt, ihre Unterkünfte oder sonstigen Wohnstätten ohne ausdrückliche Zustimmung des Gesundheitsamtes zu verlassen.
Ferner ist es ihnen in dieser Zeit untersagt, Besuch von Personen zu empfangen, die nicht in derselben Unterkunft oder sonstigen Wohnstätte wohnen.
2. Für die Zeit der Absonderung unterliegen die unter I. genannten Personen der Beobachtung durch das Gesundheitsamt gemäß § 29 des Infektionsschutzgesetzes (IfSG).
3. Im Fall, dass in I. Ziffer 1. genannte Personen
- im Rahmen der seit dem 16.06.2020 durch Beauftragte des Gesundheitsamtes durchgeführten Testung negativ getestet worden sind und keine Corona-typischen Symptome (Fieber, Husten, Schnupfen, Halsschmerzen, Geruchs- und Geschmacksstörungen, Allgemeine Schwäche) aufweisen
oder
- im Rahmen der seit dem 16.06.2020 durch Beauftragte des Gesundheitsamtes durchge-führten Testreihe getestet wurden, ihnen das Ergebnis der Testung aber noch nicht be-kannt gegeben wurde und sie keine Corona-typischen Symptome haben
oder
seit dem 16.06.2020 noch nicht durch Beauftragte des Gesundheitsamtes getestet wurden und keine Corona-typischen Symptome haben dürfen diese Personen im notwendigen Umfang im Rahmen einer Arbeitsquarantäne unter Beachtung der im Konzept „Arbeitsquarantäne“, das die Firma Tönnies im Krisenstab am 17.06.2020 vorgelegt hat und dem der Kreis Gütersloh unter der Maßgabe zugestimmt hat, das FFP2-Masken getragen werden müssen, vorgegebenen Bedingungen in folgenden Bereichen der Firma Tönnies am Standort Rheda-Wiedenbrück tätig werden:
- Standortverwaltung,
- Geschäftsleitung,
- Technik,
- Handwerk,
- Reinigung,
- Sicherheit
- Mitarbeiter überwachender Behörden,
- Back-up Versorgung der Personen in den Quarantäne-Wohnungen: Dazu dürfen die Logistik-Halle der Tevex Logistics GmbH am Standort Rheda-Wiedenbrück, In der Mark 2 genutzt und zu diesem Zweck das Betriebsgelände betreten werden. Erlaubt sind die Einfahrt, Einlagerung, die Kommissionierung, die Verladung, die Abholung, die Gestellung von Lade-Hilfsmitteln im gereinigten Zustand sowie die Ausfahrt.
- Übersetzungstätigkeiten zur Unterstützung der Kassenärztlichen Vereinigung Westfalen-Lippe bei der Versorgung der unter I. genannten Personen
Die Aufnahme der Tätigkeit im Rahmen der Arbeitsquarantäne ist nur solchen Personen gestattet, die eine vom Kreis Gütersloh ausgestellte Bescheinigung für die Arbeitsquarantäne erhalten haben. Diese Bescheinigung ist nebst einem Dokument zum Nachweis der Identität ständig bei sich zu führen und auf Verlangen den Mitarbeitern der zuständigen Behörden vorzuzeigen.
Im Rahmen der Arbeitsquarantäne sind Tätigkeiten zur Entsorgung von Schlachtabfällen und Konfiskaten im Betrieb der Firma Tönnies bis spätestens 21.06.2020, 23.00 Uhr zulässig. Darüber hinaus dürfen Vorarbeiter/Beschäftigte, die als Dolmetscher zur Unterstützung der Kassenärztlichen Vereinigung Westfalen-Lippe eingesetzt werden
Die im Rahmen der Arbeitsquarantäne zu beachtenden definierten Schutzmaßnahmen des Konzepts „Arbeitsquarantäne“ der Firma Tönnies sehen unter anderem vor, dass die Personen sich ausschließlich zuhause oder an ihrem Arbeitsplatz aufhalten. Der Weg zur Arbeitsstelle und zurück ist ohne Unterbrechungen zurückzulegen. Die Benutzung des Öffentlichen Personennahverkehrs ist untersagt. Bei Nutzung von Fahrzeugen durch mehr als eine Person ist sicherzustellen, dass diese Personen alle derselben Wohngemeinschaft angehören. Darüber hinaus dürfen Fahrzeuge zur gleichen Zeit nur von Beschäftigten für den Arbeitsweg genutzt werden, welche auch in der Produktion im selben Bereich im Sinne des Schutzkonzepts der Firma Tönnies tätig sind.
Mindestens ab Beginn des Hinweges zur Arbeitsstätte bis zum Ende des Rückweges von der Arbeitsstätte ist eine FFP-2 Maske zu tragen. Diese darf nur während der Arbeitspausen zur Aufnahme von Nahrungsmitteln abgenommen werden. Hierbei sind die allgemeinen Hygienevorgaben des RKI (bspw. 1,5 Meter Abstand, ausreichende Händedesinfektion) zu beachten.
Das Tragen einer FFP-2 Maske in einem privaten PKW auf dem Hinweg zur Arbeitsstätte und auf dem Rückweg von der Arbeitsstätte ist ausnahmsweise nicht erforderlich, wenn sich lediglich eine einzelne Person im Wagen befindet.
4. Die unter I. genannten Personen haben telefonisch das Gesundheitsamt zu kontaktieren, wenn sie während der Absonderung Corona-typische Symptome (Fieber, Husten, Schnupfen, Halsschmerzen, Geruchs- und Geschmacksstörungen, Allgemeine Schwäche) entwickeln.
Für den Kontakt mit dem Gesundheitsamt sollte folgende Telefonnummer genutzt werden:
05241/ 85 1700
5. Sollten die unter I. genannten Personen ärztliche Hilfe benötigen, so haben sie den in Anspruch genommenen Dienst vorab telefonisch und bei Kontakt mit medizinischem Personal die jeweilige Person zunächst darüber zu informieren, dass sie Adressat dieser Verfügung sind.
6. Die Allgemeinverfügung zur Anordnung der Quarantäne vom 18.06.2020 wird aufgehoben.
III. Vollziehbarkeit
Diese Allgemeinverfügung ist gemäß § 28 i.V.m. § 16 Abs. 8 IfSG sofort vollziehbar.
IV. Bekanntgabe
Diese Allgemeinverfügung wird gemäß § 41 Absätze 3 und 4 des Verwaltungsverfahrensgesetzes für das Land Nordrhein-Westfalen (VwVfG NRW) in der Fassung der Bekanntmachung vom 12. November 1999 (GV. NRW. S. 602), das zuletzt durch Artikel 6 des Gesetzes vom 17. Mai 2018 (GV. NRW. S. 244) geändert worden ist, öffentlich bekannt gemacht und gilt mit dem auf die Bekanntmachung folgenden Tag als bekannt gegeben.
V. Geltungsdauer
Diese Allgemeinverfügung gilt bis zum 02.07.2020, 24:00 Uhr.
Begründung
Die vorliegende Anordnung verfolgt das Ziel, die Verbreitung des Coronavirus einzudämmen.
1. Sachverhalt:
Im Wesentlichen liegt folgender Sachverhalt zugrunde:
Die seit dem 16.06.2020 durch Beauftragte des Gesundheitsamtes des Kreises Gütersloh durchgeführte Testung von in der Produktion der Firma Tönnies am Standort in Rheda-Wiedenbrück tätigen Personen hat bisher über 1.000 positive Befunde ergeben.
Dies zeigt, dass in der Firma Tönnies am Standort in Rheda-Wiedenbrück ein erhebliches Infektionsgeschehen vorliegt.
2. Rechtliche Würdigung
a) Rechtsgrundlage für die Anordnung der Quarantäne in II. Ziffer 1 ist § 28 Abs. 1 sowie § 30 Abs. 1 IfSG in Verbindung mit § 1 Abs. 1 und § 3 Abs. 2 Nr. 1 des IfSBG NRW.
Gemäß § 28 Abs. 1 IfSG trifft die zuständige Behörde die notwendigen Schutzmaßnahmen, wenn Kranke, Krankheitsverdächtige, Ansteckungsverdächtige oder Ausscheider festgestellt werden, soweit und solange es zur Verhinderung der Verbreitung übertragbarer Krankheiten erforderlich ist. Sie kann insbesondere Personen verpflichten, den Ort, an dem sie sich befinden, nicht oder nur unter bestimmten Bedingungen zu verlassen oder von ihr bestimmte Orte oder öffentliche Orte nicht oder nur unter bestimmten Bedingungen zu betreten.
Gemäß § 30 Abs. 1 IfSG kann bei Kranken, Krankheitsverdächtigen, Ansteckungsverdächtigen und Ausscheidern angeordnet werden, dass sie in geeigneter Weise abgesondert werden, soweit und solange es zur Verhinderung der Verbreitung der übertragbaren Krankheit notwendig ist.
Zuständige Behörde ist gemäß § 28 Abs. 1 IfSG i. V. m. § 3 Abs. 2 Nr. 1 IfSBG NRW das Gesundheitsamt des Kreises Gütersloh, weil die Anordnung den Bereich mehrerer örtlicher Ordnungsbehörden betrifft.
Die tatbestandlichen Voraussetzungen des § 28 Abs. 1 IfSG sowie des § 30 Abs. 1 IfSG sind erfüllt.
Bei COVID-19 handelt es sich um eine übertragbare Krankheit im Sinne des § 2 Nr. 3 IfSG.
Im Betrieb der Firma Tönnies sind im Rahmen der seit dem 16.06.2020 laufenden Testung durch Beauftragte des Gesundheitsamtes bereits jetzt über 1.000 positive Befunde festgestellt worden. Damit ist ein Teil der unter I. Ziffer 1 genannten Personen bereits positiv auf das Coronavirus getestet.
Es ist zudem davon auszugehen, dass diejenigen Personen unter I. Ziffer 1, die bislang nicht positiv getestet worden sind und die unter I. Ziffer 2 genannten Personen ansteckungsverdächtig sind.
Ansteckungsverdächtig ist nach der Legaldefinition des § 2 Nr. 7 IfSG eine Person, von der anzunehmen ist, dass sie Krankheitserreger aufgenommen hat, ohne krank, krankheitsverdächtig oder Ausscheider zu sein. Dies ist nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (BVerwG, 22.03.2012, 3 C 16.11) dann der Fall, wenn der Betroffene mit hinreichender Wahrscheinlichkeit Kontakt zu einer infizierten Person oder einem infizierten Gegenstand hatte. Die Vermutung, der Betroffene habe Krankheitserreger aufgenommen, muss naheliegen. Eine bloß entfernte Wahrscheinlichkeit genügt nicht. Demzufolge ist die Feststellung eines Ansteckungsverdachts nicht schon gerechtfertigt, wenn die Aufnahme von Krankheitserregern nicht auszuschließen ist. Andererseits ist auch nicht zu verlangen, dass sich die Annahme geradezu aufdrängt. Erforderlich und ausreichend ist, dass die Annahme, der Betroffene habe den Krankheitserreger aufgenommen, wahrscheinlicher ist als das Gegenteil. Entscheidend sind die Eigenheiten der jeweiligen Krankheit und verfügbaren epidemiologischen Erkenntnisse und Wertungen. Für die Anforderungen an die Wahrscheinlichkeit einer Ansteckungsgefahr gilt, dass an die Wahrscheinlichkeit des Schadenseintritts umso geringere Anforderungen zu stellen sind, je größer und folgenschwerer der möglicherweise eintretende Schaden ist (BVerwG, 22.03.2012, 3 C 16.11; VG Weimar, 14.03.2019, 8 E 416/19 We).
Infolge der besonders großen Gefahr, die von dem neuartigen Erreger aufgrund seiner hohen Übertragbarkeit und teilweise schwerer Krankheitsverläufe ausgeht, sind an die Wahrscheinlichkeit einer Ansteckung geringe Anforderungen zu stellen.
Die infizierten Personen des Unternehmens hielten sich den Erkenntnissen des Gesundheitsamtes zufolge in verschiedenen Bereichen und Gebäudeteilen auf dem Betriebsgelände der Firma Tönnies in Rheda-Wiedenbrück am Standort In der Mark 2, 33378 Rheda-Wiedenbrück auf und besuchten insbesondere den Kantinenbereich, der auch von anderen auf dem Betriebsgelände tätigen Personen genutzt wird. Zudem wohnen die Beschäftigten in der Produktion zum überwiegenden Teil in gemeinsamen Unterkünften und werden zum Teil gemeinsam zur Arbeitsstätte und von der Arbeitsstätte in die Unterkunft transportiert.
Die damit einhergehende Durchmischung der auf dem Betriebsgelände tätigen Personen begünstigt unter virologischen Gesichtspunkten die Gefahr einer Ansteckung mit dem neuartigen Coronavirus. Es besteht die Gefahr, dass das Virus sich auf dem Betriebsgelände der Firma Tönnies am Standort Rheda-Wiedenbrück verbreitet hat und dass die auf dem Betriebsgelände tätigen Personen den Krankheitserreger aufgenommen haben.
Zudem ist es wahrscheinlich, dass auf dem Betriebsgelände der Firma Tönnies tätige, infizierte oder ansteckungsverdächtige Personen auch Personen angesteckt haben, mit denen sie gemeinsam wohnen.
Die angeordneten Maßnahmen dienen dem Ziel, die Verbreitung des Coronavirus einzudämmen und damit den Schutz der Bevölkerung sicherzustellen.
Sie sind geeignet, der Verbreitung des Coronavirus entgegenzuwirken. Durch die Absonderung wird das Risiko verringert, dass andere Personen infiziert werden.
Die Anordnung der Quarantäne ist auch erforderlich. Angesichts des großen Ausbruchsgeschehens auf dem Betriebsgelände der Firma Tönnies kann nur so effektiv vermieden werden, dass die unter I. genannten Personen das Coronavirus in der Bevölkerung verbreiten.
Die sich aus der Absonderung ergebenden Einschränkungen stehen nicht außer Verhältnis zu dem Ziel, eine Weiterverbreitung dieses Krankheitserregers in der Bevölkerung zu verhindern. Diese Gemeinwohlbelange rechtfertigen die hier getroffene Maßnahme. Die Gesundheit und das menschliche Leben genießen einen sehr hohen Stellenwert. Bei der Abwägung überwiegen die Rechtsgüter der körperlichen Unversehrtheit des Einzelnen sowie des Gesundheitsschutzes der Bevölkerung, da es sich hierbei um Rechtsgüter von sehr hoher Bedeutung handelt. Um dem staatlichen Schutzauftrag gerecht zu werden, sind die getroffenen Maßnahmen unter Abwägung aller beteiligten Interessen daher gerechtfertigt.
b) Rechtsgrundlage für die unter II. Ziffer 2. angeordnete Beobachtung ist § 29 IfSG. Die angeordneten Maßnahmen sind notwendig, um festzustellen, ob sich das Ansteckungsrisiko realisiert hat und damit tatsächlich das Risiko einer Weiterverbreitung des Erregers in der Bevölkerung besteht, um ggf. weitergehende Schutzmaßnahmen zu treffen.
c) Die gemäß II. Ziffer 3 in engen Grenzen und unter Schutzmaßnahmen ermöglichte Arbeitsquarantäne dient dazu, etwaige Betriebsstörungen zu vermeiden oder zu erkennen, die Bereitstellung der für die behördlichen Maßnahmen erforderlichen Informationen sicherzustellen (bspw. Kontaktnachverfolgung, Überwachung der Quarantäne) sowie die Versorgung der in Quarantäne befindlichen Personen zu gewährleisten und damit Gefahren für die öffentliche Sicherheit und Ordnung abzuwenden.
Rechtsbehelfsbelehrung:
Gegen diese Allgemeinverfügung kann innerhalb eines Monats nach Bekanntgabe wie folgt Klage erhoben werden:
- schriftlich beim Verwaltungsgericht Minden (Königswall 8, 32423 Minden oder Postfach 32 40, 32389 Minden)
oder
- mündlich zur Niederschrift beim Urkundsbeamten der Geschäftsstelle des Verwaltungsgerichts Minden
oder
- durch Übertragung eines elektronischen Dokuments an die elektronische Poststelle des Verwaltungsgerichts Minden. Das elektronische Dokument muss für die Bearbeitung durch das Verwaltungsgericht Minden geeignet sein. Es muss mit einer qualifizierten elektronischen Signatur der verantwortenden Person versehen sein oder von der verantwortenden Person signiert und auf einem sicheren Übermittlungsweg gemäß § 55a Absatz 4 VwGO eingereicht werden. Die für die Übermittlung und Bearbeitung geeigneten technischen Rahmenbedingungen bestimmen sich nach näherer Maßgabe der Verordnung über die technischen Rahmenbedingungen des elektronischen Rechtsverkehrs und über das besondere elektronische Behördenpostfach (Elektronischer-Rechtsverkehr-Verordnung – ERRV) vom 24. November 2017 (BGBl. I S. 3803).
Adenauer
Landrat des Kreises Gütersloh
20.06.2020
Hier geht es zum entsprechenden Amtsblatt.